Er eignete sich die neue Lehre wie etwas seinem Geiste innerlichst Verwandtes, wie eine ihm eingeborene Wahrheit an.
Mit dem Fleiße, der dem Genie eigen ist, vervielfältigt er seine Kräfte.
Die Schatten der Ideen enthalten übrigens mehr als eine Anweisung zur Gedächtniskunst nach der Methode des Lullus.
Die innerliche wesentliche Einheit des Universums wird stark betont; ebenso das Prinzip der Entwickelung.
Wie die Natur innerhalb ihrer Grenzen Alles aus Allem hervorbringe und Niederes stufenweise in Höheres verwandle, so vermöge der Verstand Alles aus Allem zu erkennen. Doch erfaßt die Erkenntnis
des Menschen die Wahrheit nur im Abbilde, — daher der Ausdruck: Schatten der Ideen.
Diese Umrisse seines Weltbildes füllt Bruno mit Farbe und Leben aus. Überall im Universum ist die stoffliche Natur die gleiche, überall dieselbe schöpferische Kraft am Werke; eine Ordnung, ein
Gesetz herrscht im ganzen Weltall. Daher zweifelt Bruno nicht, daß überall auch organisches Leben zur Entwicklung gelange, in zahllosen Abstufungen und Formen, ähnlich den irdischen, oder auch
höher als diese.
In den verschiedenen Teilen der materiellen Welt gelangen alle Formen ins Dasein, alle Gattungen von Organismen seien in der Natur im Ganzen verwirklicht, darin bestehe die Vollkommenheit des
Universums. In dieser lebensvollen Gesamtanschauung der Dinge beseligt sich Bruno's Geist, aus ihr schöpft er Versöhnung mit den Übeln des Daseins, mit Untergang und Zerstörung im Einzelnen.
Wie alles aus dem Guten stammt, so ist auch alles gut und wird durch das Gute zum Guten geführt. Wer den Blick nur auf das Einzelne heftet, kann freilich die Schönheit des Ganzen nicht erfassen,
wie demjenigen die Schönheit eines Gebäudes entgeht, der nur einen Teil desselben, einen Stein, einen Anputz ins Auge faßt.
Dies ist jene Philosophie, ruft Bruno aus, welche die Sinne auftut, den Geist befriedigt, den Verstand verherrlicht und den Menschen auf die wahre Glückseligkeit, die er als Mensch erlangen kann,
hinweist, indem sie ihn von der mühevollen Sorge um Vergnügungen und der blinden Furcht vor Schmerzen befreit. Es war ein neues universelles Leben, das sich dem Geiste Brunos überwältigend
offenbarte und die Teilnahme an allem Sein erweckte. Wie kleinlich erschien jetzt die Gewohnheit des Menschen, alles auf sich zu beziehen! — Erst die Lehre von den „anderen Welten“ bedeutete den
Zusammensturz der mittelalterlichen, anthropozentrischen Weltanschauung, welche mit der Lehre von der Erdbewegung um die Sonne zur Not noch vereinbar blieb.
Das Kopernikanische System in der Verallgemeinerung, die er ihr gegeben, philosophisch erklärt, richtiger, gedeutet, das ist in wenigen Worten seine Philosophie.
Ihr Hauptbegriff ist der der Unendlichkeit der Welt. Eine unendliche Welt muß ein anderes Verhältnis zu Gott haben, als eine endliche.
Und wie Wirkung und Ursache notwendig zusammengehören, wie die Ursache in der Wirkung sich erhält und nicht ohne diese zu denken ist, so kann auch Gott nicht ohne die Welt, nicht ohne die Natur
sein. Das Universum ist das erhabene Ebenbild und Abbild der göttlichen Substanz.
Die schaffende Kraft in der Natur, die Weltseele, ist ein Attribut Gottes, daher von Gottes Wesen nicht zu trennen.
„Zugegeben, daß es unendlich viele Individuen gibt, zuletzt ist alles dem Wesen nach eins und die Erkenntnis dieser Einheit das Ziel aller Philosophie und Naturbetrachtung.“
„Der Mensch ist nicht geboren, die Probleme der Welt zu lösen, wohl aber zu suchen, wo das Problem angeht und sich sodann in der Grenze des Begreiflichen zu halten,“ sagt Goethe, der doch den
Glauben Brunos an Gott-Natur teilte.
Zutreffend ist die Bemerkung: „man findet Eintracht und Freundschaft nicht dort, wo es bequem gilt, dasselbe zu glauben, sondern nur da, wo man sich auf Grund gleichmäßiger Einsichten zu
derselben Tätigkeit vereinigt.“
Und diese Gattung hat wieder zwei Arten: die eine besteht aus solchen, die nur Werkzeuge einer höheren Intelligenz sind, die andere aber aus jenen, „die zu tiefer Betrachtung veranlagt, aus
innerlichstem eigenen Antriebe und natürlicher Inbrunst von der Liebe zur Gottheit, zur Gerechtigkeit, zur Wahrheit und in bewußtem Streben nach der Idee entflammt werden zu hellerer Einsicht und
höherer Denkkraft, — diese sprechen und handeln nicht als bloße Werkzeuge des Göttlichen, sondern als selbstschöpferische Künstler und Helden. Die ersten haben den Geist der Gottheit, die
anderen aber sind göttlichen Geistes“. — Wir denken an Goethes Wort: „Gott ist fortwährend in höheren Naturen wirksam, um die geringeren heranzuziehen.“
Es zeuge von niedriger Gesinnung, mit der Menge denken zu wollen, bloß weil sie die Menge ist. Durch die Meinung noch so vieler Menschen werde die Wahrheit keine andere, als sie ist.
Was aber heute für die meisten nur ein Objekt des Wissens ist, war für Bruno Gegenstand eines feurigen Affektes, einer religiösen Stimmung und Ergriffenheit.
Wo immer wir sein mögen, überall sind wir unserem wahren Mittelpunkte, der Gottheit, gleich nahe. Ja, diese ist uns innerlicher gegenwärtiger, als wir uns selbst innerlich gegenwärtig sind. Gott
ist der Grund der Natur, die allgemeine Wesenheit alles Seins, „darum ist es gut gesagt: daß wir in ihm leben, weben und sind".
Die schaffende Natur ist Gott in den Dingen („naturae fundamentum est deus in rebus“). Gott ist „die eigentliche Natur, das innere Prinzip aller Bewegung, die gestaltende Form, die Seele alles
dessen, was durch seine Kraft lebendig wird“. „Wir suchen Gott in dem unveränderlichen, unbeugsamen Naturgesetze, in der ehrfurchtsvollen Stimmung eines nach diesem Gesetze sich richtenden
Gemütes; wir suchen ihn im Glanze der Sonne, in der Schönheit der Dinge, die aus dem Schoße dieser unserer Mutter Erde hervorgehen, in dem wahren Abglanz seines Wesens, dem Anblick unzähliger
Gestirne, die am unermeßlichen Saume des einen Himmels leuchten, leben, fühlen, denken und dem Allgütigen, All-Einen und Höchsten lobsingen.“ So lautet Brunos Hymne auf Gott-Natur.
Diese wahre, innere Form aller Dinge, lehrt Bruno, ist eine geistige Kraft, derjenigen verwandt, die wir in uns als Vernunft kennen. Bruno bezeichnet sie mit einem von Plato herrührenden
Ausdrucke als die Weltseele. Sie ist, erklärt er, „ein Identisches, welches das All erfüllt, das Universum erleuchtet und die Natur unterweist, ihre Gattungen hervorzubringen“.
Nicht dem Sein nach, nur in ihrer Art zu sein, unterscheiden sich die Dinge im Universum von dem Universum selbst, wie es an sich ist. Die Dinge sind „nicht besondere Substanzen, sondern die
Substanz im Besonderen“. Die Natur, im Einzelnen unendliche Entwicklung, ist als Ganzes ins Unendliche entwickelt, ein unerschöpfliches Reich von Lebensformen und Stufen der Dinge. Ihrer äußeren
räumlichen und zeitlichen Unendlichkeit entspricht die innere wesentliche Unendlichkeit ihres Prinzipes. Was in der Natur entfaltet erscheint, ist in ihrem Prinzipe vollkommen vereinigt zu
denken.
Tod und Untergang, das Übel und das Böse wurzeln nicht im Grunde der Dinge. Sie sind keine Wirklichkeit und kein Vermögen, sondern Mangel und Unvermögen, finden sich daher auch nur bei den
einzelnen Dingen, weil diese nicht alles sind, was sie sein können und von einer Art zu sein zu einer anderen übergehen.
Die Natur ist eine lebendige Einheit von lebendigen Einheiten, in jeder von diesen die Kraft des Ganzen gegenwärtig, — Gedanken, die sich ähnlich bei Leibniz wiederfinden.
Er lehre ein unendliches Universum, weil er es der göttlichen Güte und Allmacht unwürdig erachte zu glauben, daß sie eine endliche Welt geschaffen habe, da sie doch Welten ohne Zahl hervorbringen
kann. So habe er denn erklärt, daß es unendlich viele Welten gebe, ähnlich dieser unserer Erde, die er gleich den übrigen Planeten für ein Gestirn betrachte. In dieses Universum setzte er eine
allgemeine Vorsehung, kraft welcher jedes Ding lebt, wächst und in seiner Vollkommenheit besteht, und zwar denke er sie auf doppelte Art: einmal so, wie die Seele im Körper gegenwärtig sei, was
er Natur, Schatten und Spur der Gottheit nenne, dann aber in der unaussprechlichen Weise, in welcher Gott zugleich in allem und über allem ist. — Die Fleischwerdung des Wortes, räumt er ein,
nicht zu verstehen, solange er sich innerhalb der Grenzen der Philosophie halte, und auch sein Glaube daran sei schwankend. Unter dem heiligen Geiste habe er als Philosoph in Übereinstimmung
mit Salomo die Weltseele verstanden. Aus diesem Geiste, diesem Alleben fließe jedem belebten und beseelten Wesen das Leben und die Seele zu. Die Seele sei unsterblich wie der Körper
unvergänglich, der Tod Trennung und Wiederbelebung. Und so sei das Wort des Predigers zu verstehen: „Nichts neues unter der Sonne.“
„Was für Stücke zur Seligkeit notwendig seien? — Glaube, Hoffnung und Liebe.“
Jedesmal schwindet dann seine Unsicherheit, der Zweifel an sich selbst, der keinem erspart bleibt, der allein gegen die Strömung seiner Zeit und Umgebung ankämpft.
Er nimmt in seine neue Weltanschauung viel von der religiösen Empfindungsweise der alten hinüber. Was immer er an der katholischen Religion auszusetzen hat, sie ist ihm, wie selbst Mocenigo
bezeugen mußte, „doch noch die liebste“.
Von dieser Unsicherheit muß er sich erst befreien in jahrelangem Kampfe, ehe er sich entschlossen auf die Seite jener Macht stellen konnte, für welche sein leiblicher Tod den geistigen Sieg
bedeutet. Wie oft mag er sich in diesen inneren Kämpfen an seinem eigenen Worte auf gerichtet haben: „wer noch für seinen Leib fürchtet, hat sich noch nicht eins gefühlt mit der Gottheit.“
„Wohl mit größerer Furcht fällt ihr das Urteil gegen mich, als ich es vernehme.“
Eben aus Verschiedenheit und Gegensatz entsteht ihm der volle Einklang der Dinge. Die Betrachtung der Harmonie des Universums hebt ihn über alles Leid hinaus.